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Berlin 2024.

2.5.2024 6:42 Hauptbahnhof München im ICE 602; Wagen 14, ganz am Ende des Zuges.

Der Zug fährt um 6:57. wir sitzen direkt hinter der Zugführerin, einer jungen Frau, die diesen riesigen Zug fährt - so dachten wir bis eben. Dann kommt der eigentliche Zugführer. Auch noch ein junger Mann.
Wecker klingelt um 4:45, nix wie raus. Hat alles gut geklappt. Ute hatte gestern Abend noch gepackt. Wir verpassen die drei Busse, die mit einer Minute Abstand losfahren und laufen bei schönem Wetter zur U-Bahn. Das Morgenlicht fühlt sich wie Afrika an. Seufz…. Wir steigen in die U-Bahn ein, achten nicht auf den Zug und landen eine Station später am Arabellapark. Ach ja, stimmt. In der Früh fahren sie alle nur auf einem Gleis. Sitzen 10 Minuten dumm rum rum und kommen noch weit in der Zeit am Hauptbahnhof an. Wasser kaufen. Spinnen die? Zwei Flaschen Wasser 8,20€. Noch sechs Minuten bis zur Abfahrt.

a.a.O. 18:00

Bei herrlichstem Wetter ab ins Deutsche Historische Museum zu „roads taken“.  Danach ab in ein Straßencafé „Unter den Linden“. Mit der U-Bahn zu den Hackeschen Höfen. Sind immer wieder einen Besuch wert. Um die Ecke zum Curry 61. Lange Schlange, geht aber schnell. Zu zweit drei Currywürste und zwei Bier. Zurück mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Urania, wo unser Motel One liegt. Pause, auch wenn es draußen warm ist.

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3.5.2024 16:30, Motel One Tiergarten an der Urania

Wir laufen Richtung Augsburger Straße. Wir lernen, sie war nach dem Krieg Rotlicht, jetzt eine sehr ordentliche Wohnstraße mit einem herrlich neuen Wohnblock. Richtig liebevoll gestaltet. Sieht wie Bauhaus aus. Um 11:00 öffnet das Museum der Newton Foundation. Wir wollen in die Sonderausstellung „CHRONORAMA Photographic Treasures of the 20th Century“ mit Fotos 1910 - 1979, eine „Präsentation der von François Pinault jüngst erworbenen Sammlung herausragender Fotografien der Genres Porträt, Mode, Stillleben, Architektur und Fotojournalismus, ergänzt durch frühe Illustrationen aus dem legendären Condé-Nast-Archiv“. Wir saugen jede Aufnahme auf, machen zwischen den nach Jahrzehnten geordneten Räumen immer wieder im Hirn Luft, um das Gesehene zu verdauen und Platz für weitere Aufnahmen zu machen. Sind beide vollkommen geplättet, so gute und so gut kuratierte Aufnahmen sehen wir. Nach über drei Stunden sind wir durch, könnten noch einmal von vorne anfangen. Brauchen jetzt eine kleine Pause. Finden am Kuhdamm ein kleines Café, das Arket Café, ein Platz im Freien an einem kleinen Tisch ist unser. Die Sonne knallt ganz schön auf uns. Besser als die 11 Grad in München. 

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Ein Espresso, Wasser und ein süßes Stück und wir fahren mit der U-Bahn und dem M48 Bus bis zum Botanischen Garten, Haltestelle „Unter den Eichen“. Da hat meine Mutter Ende der 1930er, Anfang der 1940er gewohnt, bis Berlin zerbombt wurde. In den damals sicher komfortablen Wohnungen haben laut den Erinnerungen meiner Mutter SS-Familien gewohnt. Mir ist bekannt, dass mein Großvater Major war, ob er in SS war, weiß ich nicht. Er war im Nachschub, möglicherweise in der Waffen-SS. Auch einer derjenigen, die im Grunde unheimlich brav und bieder und folgsam waren. Wie so viele Menschen seiner Generation. Die dunkle Zeit ist noch nicht  verdaut, wird sie wohl auch nie. Die Wohnanlagen wohl auch Opfer der Bombenangriffe, sind offensichtlich nach dem Krieg neu aufgebaut worden. Eine Freundin meiner Mutter lebte ein paar Meter weiter in der Tulpenstraße. Die noch erhaltenen Wohnhäuser zeigen, wie fein die Gegend war. Mutter kann sich noch daran erinnern, dass sie gegenüber dem Botanischen Garten gewohnt haben und dass sie auf der Straße Rollschuh gelaufen sind. Ich ruf sie an und erzähl gleich, wo wir sind. Sie strahlt ins Telefon. Ziel erreicht. Mit zwei Bussen zurück hierher und ab zu einer Pause. Wieder ein herrlicher Tag.

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4.5.2024, 18:00, Motel One

Nur ganz kurz, bevor wir zum Abendessen gehen. Es geht zum Vietnamesen.

Zu heute: Das Wetter hält, es ist herrlich, eine leichte Jacke hilft morgens. Wir fahren ins Bröhan Museum am Charlottenburger Schloß zur Ausstellung „Berlin in einer Hundenacht, Gundula Schulze Eldowy“. Das Buch zur Ausstellung liegt schon zuhause. Der Begleittext hilft, das fotografische Werk der 70er und 80er Jahre der Ostdeutschen Fotografin zu verstehen. Streetfotografie in der DDR. Eine beeindruckende Sammlung über das damalige Berlin Mitte und dort das tägliche Leben der Arbeiterklasse. Hat sich mehr als gelohnt. Weiter durch die halbe Stadt nach Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis. Der „Zeitzeuge“ Dr. Matthias Leupold (https://www.matthiasleupold.com/) führt uns drei Stunden durch die Hallen und durch die Gefängnisgänge. Er, Baujahr 1959 wie ich auch, hat für drei Monate dort einsitzen müssen. Er erzählt beeindruckend über die Zeit und Menschen, die er kennt, die auch dort eingesessen sind. Was für ein Bericht über eine dunkle Zeit.

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5.5.2024, 12:45 - Fotografiska

Eine weitere umwerfende Ausstellung im alten Tacheles.

Shirin Neshat: Nicht nur ihre Portraits - mit feiner iranischer Schrift beschrieben, sondern auch der Film, der die Wut aber auch die Ohnmacht gepeinigter Frauen ausdrückt, beeindrucken und setzen sich tief fest. Wir schon eine Ausstellung von ihr in München in der Pinakothek der Moderne bewundern können.

Elizaveta Porodina: Kannte ich vorher nicht. Ihre Frauenportraits sind „anders“. Es braucht Zeit, sich in ihre Darstellung einzuschalten. Mir haben die Aufnahmen gefallen.

Miles Aldridge: Der englische Farbenkünstler szenischer Fotografie mit unglaublicher Phantasie, Humor, Kreativität zeigt unverblümt mit seinen klischeehaften Aufnahmen eine überzogene Realität. Regt zum Lachen und zum Nachdenken an. Bei seinen Werken bin ich wieder kurz davor, mein Equipment zu verkaufen. Sensationell!

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Panorama von Yagedar Asisi am Checkpoint Charlie. Beeindruckend und wieder an die Fragilität der Demokratie und der freien Welt und des Friedens erinnernd. Mit einem nachhaltigen Film von Yagedar Asisi.

Abschluss am Brandenburger Tor. Die Sichtachse vom Roten Rathaus über das Brandenburger Tor bis zur Goldelse ist heute frei. Das war schon mal anders.

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6.5.2024, 15:15 im ICE 1007

Was für ein Tag. Das Wetter besser als angekündigt. Etwas kühl in der Früh aber sonnig. Gegen 10:00, nachdem Ute wieder mal toll gepackt hat, checken wir aus und fahren mit dem 100er Bus Richtung Staatsoper. Heute ist wohl Schulausflug in Deutschland. Horden von Klassen sind unterwegs. Besser hier in Berlin, wo die Geschichte und die Politik auf jedem Quadratmeter und jedem Atemzug spürbar ist. Wir wollen doch noch einmal ins Historische Museum und die Ausstellung über Wolf Biermann anschauen. Als wir das Museum betreten, trauen wir unseren Augen nicht. Ein kleines Podest ist aufgebaut und auf einem Stuhl sitzt er leibhaftig. Der 87-jährige Liedermacher und spielt auf der Gitarre, während er eines seiner Lieder singt. Wir fallen aus allen Wolken. Heute findet eine Veranstaltung mit Schülern aus ganz Deutschland statt und er spielt sich ein, während die Kamera Licht und Ton checkt. Sind fassungslos. Umso inspirierender ist die Ausstellung. Ich weiß gar nicht, weshalb ich früher skeptisch ihm gegenüber war. Andere Zeit. Ein beeindruckender Mensch, der für Frieden und Freiheit kämpft und, wie er sagt, bis zu seinem 80.sten immer noch 6 1/2 Jahre alt war. Als Hamburg dem Bombenangriff durch die RAF ausgesetzt war, starben 35.000 Hamburger im Feuer. Seine Mutter konnte ihn retten, obwohl sie im Zentrum des Feuers waren. Er kann sich an den Zeitpunkt erinnern, als die Atombombe über Hiroshima abgeworfen wurde und die Zeiger in die Turmuhr eingeschmolzen wurden. Da sei auch sein Herz eingeschmolzen worden und er ist bis zu seinem 80.sten nicht mehr gealtert. Berlin hat uns auch diesmal sehr positiv überrascht. Zum Abschluss noch eine Currywurst an der Brücke zur Museumsinsel und dann ab zum Bahnhof. 

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6.5.2024, 17:50 ICE kurz vor Erfurt

Wir sind wieder auf der ICE-Strecke. Der Zug zeigt 297 km/h ab. Das ist schon irre.

7.5.2024, München

Wir sind gestern gut nach Hause gekommen. Wie es der Zufall will, steigt in Erfurt ein Mann ein, sitzt neben uns, schaltet seinen Rechner an und meldet sich an. Aha, ein BMWler. Dann holt er eine Unterlage heraus und ich trau meinen Augen nicht. Er liest die Bauvorschrift für Fertigungsmittelanlagen. Die war 2001 bei meinem Wechsel in den Karosseriebau auch in meiner Verantwortung. Irgendwann spreche ich ihn an und er stellt sich als Planungsgruppenleiter für Fördertechnik heraus. So haben wir ein nettes Thema.

Gegen 20:30 sind wir zuhause. Beseelt von der spannenden Fahrt gibt es noch einen Blubber-Absacker. Es fühlt sich viel besser an, entspannt mit dem Zug zu fahren als sich mit dem Auto durch den Verkehr zu quälen. Ab Nürnberg hatte es geregnet, da macht Autofahren noch weniger Spaß. Gut, mit der Bahn unterwegs zu sein, auch wenn die Fahrt wegen Gleisbauarbeiten über 90 Minuten länger gedauert hat als urspr. geplant. Mit dem Auto wären wir noch länger unterwegs.

Nachgedanken:

Was uns an Berlin hängengeblieben ist, die Stimmung. München nennt sich bunt, Berlin ist bunt. Es wird nicht so viel gemeckert. Das kann auch am Berliner Dialekt liegen. Utes Aussage stimmt schon – München ist bräsig. Erinnert mich an den Roman „Erfolg“ von Lion Feuchtwanger, den ich lese. Wie er München in den 1920er und 1930ern beschreibt und den Eindruck von Ex-Innenminister Klenk, der nach seinem Rücktritt als Privatmann nach Berlin geht, das passt immer noch oder schon wieder für Bayern und für München. Ewiges Festhalten am Gestrigen, etwas verstaubt. Hier geht einfach die Post ab. Auffällig ist das komplett unterschiedliche Selbstbewusstsein der unterschiedlichen Ethnien und Gruppen. Der Abend am Freitag im türkischen Restaurant Baba Pirzola war eine kulturelle deutsch-türkische Begegnung. Junge Menschen, selbstbewusst, einige durchaus wohlhabend, feiern das Wochenende. Sprachmischungen Berlinerisch – Türkisch, letzteres in der jungen Generation abnehmend. Die Frauen selbstbewusst, schick gekleidet, positiv, gut drauf. In Berlin triffst Du auf Schritt und Tritt deutsche Geschichte. Offener Umgang mit den Vorkommnissen in der DDR, den ehemals zwei Staaten, der Wiedervereinigung. Auch und vor allem spüren wir hier die Allgegenwart von Demokratie. Mit der Bedeutung der Freiheit, der Fragilität und des Wertes unserer Gesellschaftsform. Hat gut getan!

Umso mehr schmerzt es, wenn wir diese Tage über tätliche Angriffe auf Politiker und Politikerinnen demokratischer Parteien lesen.